Lohr am Main. (mm) „Jeder Mensch kann in eine seelische Notlage geraten.“ Das betonte Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel bei der Eröffnung der Leitstelle des Krisennetzwerks Unterfranken am Dienstag (20. Juli) in Lohr am Main. Dann komme es darauf an, jemanden zu finden, der Rat wisse. In einer solchen Situation sei das Krisennetzwerk „ein wahres Leuchtfeuer, das Orientierung“ gebe, so der Bezirkstagspräsident weiter.
Das Krisennetzwerk Unterfranken ist Teil der Krisendienste Bayern, die die bayerischen Bezirke in den zurückliegenden Jahren aufgebaut haben, um Menschen in seelischen Notlagen rasch und unbürokratisch zu helfen. Unter der kostenlosen Telefon-Nummer 0800 / 655 3000 sind rund um die Uhr und an sieben Tagen die Woche Expertinnen und Experten erreichbar, die „professionell, zeitnah, kostenlos und unbürokratisch“ helfen, sagte Dotzel.
Die sieben bayerischen Bezirke hätten es geschafft, dass allen Menschen in Bayern jederzeit Hilfe bei seelischen Notlagen zur Verfügung stehe. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür habe das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz geschaffen, die Verwirklichung der Krisendienste sei dann bei den bayerischen Bezirken gelegen, erinnerte Dotzel. Der Bezirk Unterfranken betreibe sein Krisennetzwerk in engem Schulterschluss mit den Trägern der freien Wohlfahrtspflege. In dringenden Fällen stünden innerhalb des Krisennetzwerks mehrere mobile Einsatzteams mit erfahrenen Fachkräften bereit, die von der Leitstelle in Lohr alarmiert würden, um unterfrankenweit Hilfe zu leisten. Die Kosten dafür trage der Bezirk zu hundert Prozent.
Wie der Ärztliche Direktor des BKH Lohr, Prof. Dr. Dominikus Bönsch, berichtete, begleite ihn die Bitte nach einem Krisendienst seit seinem Dienstbeginn vor ziemlich genau zehn Jahren. Schon damals sei dies der größte Wunsch der Betroffenen und deren Angehörigen gewesen. Mit Blick auf den großen Bedarf betonte Bönsch, dass die psychiatrischen Einrichtungen „vermehrt zu den Menschen kommen“. In diesem Zusammenhang verwies er unter anderem auf das 2017 eingeweihte „Zentrum für Seelische Gesundheit“ in Würzburg. Zudem habe sich die Zahl der Institutsambulanzen in den zurückliegenden Jahren verdoppelt. Auch die Wirkung des neuen Krisennetzwerks, das zum 1. März – wenn zunächst auch zeitlich eingeschränkt – an den Start ging, mache sich bereits im Klinikalltag bemerkbar.
Die „Suizidalität“, also das, was man umgangssprachlich „lebensmüde“ nennt, mache etwa fünf Prozent der Anrufe in der Leitstelle aus, sagte anschließend in einer Podiumsdiskussion die Leiterin der Leitstelle, Dr. Simona Kralik. Viel ausgeprägter sei bei den Hilfesuchenden das Gefühl, es alleine nicht mehr zu schaffen. Das Telefon sei in dieser Situation zwar ein scheinbar eingeschränktes Kommunikationsmedium, es biete aber die Chance, sich auf seine Stimme zu fokussieren. Die Distanz schaffe zudem eine ganz spezielle Intimität, sagte Kralik.
Als eine Art „Feuertaufe“ für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krisennetzwerks bezeichnete Kralik die Tage nach dem Messerattentat am 25. Juni in Würzburg. Aber die Situation habe zum einen die Notwendigkeit der neuen Einrichtung gezeigt, und zum anderen bewiesen, „dass die Leitstelle funktioniert, dass wir es können!“
Anne-Katrin Jentsch, die Psychiatriekoordinatorin und Inklusionsbeauftragte des Bezirks, lobte in der von Daniel Kilian, dem Koordinator des Krisennetzwerks, moderierten Expertenrunde die mehrjährige Planung, die hinter dem Krisennetzwerk stecke. Hier hätten sich hoch motivierte Menschen gefunden, um etwas Optimales zustande zu bringen. Auch Paul Strobel, der ebenfalls der Steuerungsgruppe angehört, verwies auf die Bedeutung von „Netzwerkarbeit“. Er gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Angehörigen der Betroffenen häufig überfordert seien, zumal die Patienten oft keine Einsicht zeigten.